In einem fachlichen Hinweis vom 25. März 2020 setzt sich der Fachausschuss für Unternehmensbewertung und Betriebswirtschaft (FAUB) mit den Auswirkungen der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus (SARS-CoV-2) auf Unternehmensbewertungen auseinander.

Wir geben nachfolgend die wichtigsten Passagen des Hinweises wieder:

Börsenkurse sind Preise für einzelne Wertpapiere und als solche das Ergebnis von Angebot und Nachfrage. Gerade in Krisensituationen kommt es zu extremen Schwankungen. Sich abzeichnende Tendenzen eines Kursverfalls lassen viele Anleger zur Vermeidung von Kursverlusten aus den Papieren aussteigen, was wiederum diese Tendenz verschärft und für weitere Anleger das Signal zum Verkauf ist. Hinzu treten kurzfristige Liquiditätsbedürfnisse von Investoren, die Verkaufsdruck auslösen können. Darüber hinaus verstärken algorithmus-basierte Handelsstrategien häufig bestehende Trends.

Von den Kursen börsennotierter Gesellschaften sind die nach fundamentalanalytischen Wertermittlungsmethoden ermittelten Werte von Unternehmen und Unternehmensanteilen zu unterscheiden.

Hierbei wird auf den finanziellen Nutzen und somit auf die langfristige Fähigkeit des Unternehmens abgestellt, finanzielle Überschüsse für die Unternehmenseigner zu erwirtschaften. Ein solcher Wert wird grundsätzlich als Zukunftserfolgswert ermittelt. In der Unternehmensbewertungspraxis haben sich das Ertragswertverfahren und die Discounted Cash Flow (DCF)-Verfahren herausgebildet.

Grundlage ökonomischer Entscheidungen – z.B. bei Kapitalmaßnahmen, M&A-Transaktionen, Impairment-Tests oder gutachtlichen Bewertungen – bilden regelmäßig nach Zukunftserfolgswertverfahren abgeleitete Werte.

Bei Anwendung von Zukunftserfolgswertverfahren ist – dem Äquivalenzprinzip folgend – Unsicherheit an zwei Stellen zu berücksichtigen. Zum einen in den Erwartungen künftiger finanzieller Überschüsse; zum anderen hierzu äquivalent in der Risikoprämie, die Investoren für die Übernahme der Unsicherheit fordern.

Die Corona-Krise hat ihre Ursache in einer Viruserkrankung, die in ihrer spezifischen Ausprägung zwar neu ist, sich aber in ihrer weiteren Entwicklung – so kann derzeit angenommen werden – dem Verlauf vorangegangener Pandemien ähneln wird. Wird davon ausgegangen, dass nach einer zeitlich zwar schwer einschätzbaren pandemischen Phase die Ausbreitung des Coronavirus für die Unternehmen in den Hintergrund treten wird, dann kann sich der Einfluss der Corona-Krise auf einen mit einem langfristig orientierten Zukunftserfolgswertverfahren ermittelten Wert relativieren.

Diese erste Betrachtung ist in einem zweiten Schritt tiefergehend zu analysieren und möglicherweise zu revidieren. Dazu ist zwischen der kurz- bis mittelfristigen sowie der langfristigen unternehmensindividuellen Betrachtung zu unterscheiden. In der kurz- bis mittelfristigen Betrachtung werden sich vermutlich in vielen Fällen zeitlich begrenzte negative Folgewirkungen für die Unternehmen ergeben. Diese resultieren z.B. aus Nachfragerückgängen, Lieferengpässen, Personalausfällen bis hin zu Werksschließungen. Diese Effekte sind wahrscheinlich in einer langfristigen Betrachtung tendenziell von geringerer Bedeutung, wirken sich aber dennoch auch auf den mit einem Zukunftserfolgswertverfahren ermittelten Wert unternehmensindividuell in unterschiedlichem Maße aus. Hierzu sind im Wesentlichen die beiden folgenden Parameter abzuschätzen:

1. Ausmaß und Dauer der negativen Effekte

Das Ausmaß bezieht sich auf den Umfang der Auswirkungen auf die Ertragslage des Unternehmens, die individuell sehr unterschiedlich je nach Branche und Geschäftsmodell sein können. Es wird aber auf Basis der bereits eingetretenen und individuell sowie global beobachtbaren Effekte tendenziell eher abschätzbar sein. Die Dauer der negativen Effekte ist dagegen aus heutiger Sicht noch schwer abschätzbar. Sie hängt zum einen davon ab, wie lange die unmittelbare Bedrohungslage durch das Virus anhält sowie zum anderen von der Geschwindigkeit der danach eintretenden Erholung. Diese kann unmittelbar („V-förmiger Verlauf“) oder aber erst mit einer Verzögerung („U-förmiger Verlauf“) eintreten. Darüber hinaus können diese ihrer Natur nach grundsätzlich vorübergehenden Effekte jedoch langfristige negative Folgen nach sich ziehen, wenn das Unternehmen die Krisensituation – z.B. aufgrund der Folgewirkungen der Corona-Krise eingetretene oder noch zu erwartende Zahlungsschwierigkeiten – nicht zu überleben droht („L-förmiger Verlauf“).

Die Bundesregierung hat – ähnlich wie Regierungen anderer Staaten – zwar deutlich erklärt, Maßnahmen zu ergreifen, um durch die Corona-Krise verursachte drohende Insolvenzen zu vermeiden, sei es durch Aussetzung der Insolvenzantragspflicht oder durch Kredite und Bürgschaften. Bei Anwendung eines Zukunftserfolgswertverfahrens kann dies explizit berücksichtigt werden, erfordert jedoch eine Beurteilung der spezifischen Risiken und der möglichen Gegenmaßnahmen. So können Finanzierungshilfen und das Aussetzen von Insolvenzantragspflichten allein keine positive Bewertung stützen, wenn langfristig keine ausreichende Ertragskraft zu erwarten ist.

In der langfristigen Betrachtung können sich – trotz der zeitlich begrenzten Bedrohung durch das Virus selbst – gleichwohl wertrelevante Konsequenzen ergeben, wenn aufgrund von durch die Krise ausgelösten Veränderungen (z.B. in Bezug auf das Kundenverhalten) die langfristige wirtschaftliche Situation nach der Krise voraussichtlich eine andere sein sollte als vor der Krise. Die Corona-Krise befällt eine globalisierte Welt, die sich im Umbruch befindet. Bereits vor der Krise waren traditionelle Geschäftsmodelle in Frage gestellt. In der Krise werden sowohl sich bereits abzeichnende Entwicklungen beschleunigen oder verzögern als auch neue Wege – in der Kommunikation, in der Logistik, im Konsumverhalten – beschritten. Es ist davon auszugehen, dass Unternehmen nach der Krise in vielen Fällen nicht mehr auf dieselbe Nachfrage nach Produkten und Dienstleitungen treffen werden und nicht mehr dieselben Beschaffungsketten haben werden wie vor der Krise. Es ist im Einzelfall zu analysieren, ob und inwieweit hinsichtlich der langfristigen Einschätzung der Unternehmensentwicklung Pläne und Geschäftsmodelle aus der Vor-Krisen-Zeit zugrunde gelegt werden können. Dabei ist davon auszugehen, dass sich der Grad der Veränderungen zwischen den Branchen deutlich unterscheiden wird.

Eine Krise ist auch dadurch gekennzeichnet, dass Entwicklungen sich stochastisch verändern und sich dabei dynamisch verstärken oder reduzieren können. Dies ist in der Unternehmensplanung zu berücksichtigen.

2. Kapitalkosten

Der zweite Parameter bei einem Zukunftserfolgswertverfahren, in der das Risiko reflektiert wird, ist die Risikoprämie, die insb. aus Kapitalmarktdaten abgeleitet werden kann. Die langfristige Ausrichtung der Zukunftserfolgswertverfahren nach IDW S 1 i.d.F. 2008 erlaubt und erfordert es, Kapitalmarktdaten langfristig zu beurteilen und kurzfristige Ausschläge und mögliche Übertreibungen der Kapitalmärkte als momentanen und nicht zwingend langfristigen Stimmungsindikator einzuordnen (vgl. IDW S 1 i.d.F. 2008, Tz. 91). Daher orientiert sich der Kapitalisierungszins auch in einer Krise an langfristigen Analysen von Renditen, die der FAUB in einer Größenordnung von 7,0 % bis 9,0 % (nach Unternehmenssteuern und vor persönlichen Steuern) sieht, und an einer Marktrisikoprämie in einer Größenordnung von 6,0 % bis 8,0 % (ebenfalls nach Unternehmenssteuern und vor persönlichen Steuern), die am oberen Rand der Bandbreite historisch messbarer Marktrisikoprämien Es sind bisher keine Gründe für eine Änderung der Methodik zur Ableitung des Kapitalisierungszinses erkennbar. Die aus der Corona-Krise resultierende erhöhte Unsicherheit reflektiert sich somit äquivalent sowohl über die Planungen in den Cashflows als auch über die Risikoprämie im Kapitalisierungszinssatz.

Bildquelle: Stockfoto-ID: 618253610, Joyseulay - Shutterstock.com