Aufgrund der nationalen und internationalen Verbreitung von Covid-19 stellen sich viele Unternehmen die Frage, wie damit umzugehen ist, wenn vertragliche Vereinbarungen nicht mehr erfüllt werden können. Ist es möglich, Leistungsverpflichtungen aus Verträgen einfach auszusetzen? Können sich Vertragspartner dabei auf „Höhere Gewalt“ berufen oder droht Kündigung und Schadensersatz?

Hierzu ein kurzer Überblick:

1. Kann ich mich auf „Höhere Gewalt“ berufen?

Unter dem Begriff der „Höheren Gewalt“ oder „ Force Majeure“ werden Regelungen verstanden, die dann greifen, wenn es einer Partei nicht möglich ist, ihre vertragliche Leistung zu erbringen. Dabei muss als Grund für die Nichterbringung, ein Ereignis höherer Gewalt vorliegen. Dies wird in den verschiedenen Rechtsordnungen unterschiedlich definiert.

Daher ist bei internationalen Vertragsbeziehungen als erstes zu bestimmen, welches nationale oder internationale Recht auf das jeweilige Vertragsverhältnis anwendbar ist.

Im deutschen Gesetz findet sich keine gesetzliche Definition des Begriffs. Der Bundesgerichtshof, hat das Vorliegen eines Ereignisses „Höherer Gewalt“ dann bejaht, wenn ein von außen kommendes, keinen betrieblichen Zusammenhang aufweisendes, auch durch äußerste, vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht abwendbares Ereignis vorliegt.

Wegen unzureichender gesetzlicher Regelungen wird in vielen Vertragsbeziehungen der Begriff der „Höheren Gewalt“ und deren Rechtsfolgen vertraglich in entsprechenden Klauseln geregelt. Dabei ist zu beachten, dass diese Regelungen üblicherweise den strengen Wirksamkeitsanforderungen des AGB-Rechts unterliegen und daher vielfach unwirksam sind, was zu Lasten des Verwenders der jeweiligen Klausel geht.

Bei internationalen Vertragsbeziehungen kommt häufig mangels Rechtswahl das UN-Kaufrecht zur Anwendung. Dieses sieht in Art. 79 CISG vor, dass Leistungen in einem entsprechenden Fall sanktionslos ausgesetzt werden können. Voraussetzung ist dabei jedoch, dass dieser Umstand der jeweils anderen Vertragspartei rechtzeitig mitgeteilt wird.

2. Liegt wegen Covid-19 ein Ereignis „Höherer Gewalt“ vor?

Es gibt keine ausreichende höchstrichterliche Rechtsprechung in Deutschland, wann aufgrund einer Krankheit, einer Epidemie oder Pandemie „Höhere Gewalt“ vorliegt. Die meisten Gerichtsurteile hierzu stammen aus dem Reiserecht und wurden von erstinstanzlichen Gerichten getroffen. Danach wurde etwa bei der SARS-Epidemie 2003 von einem Ereignis „Höherer Gewalt“ ausgegangen. Gleiches wurde bei Cholera- und Pestepidemien angenommen, sodass davon auszugehen ist, dass auch Covid-19 grundsätzlich dazu führen kann, sich auf ein Ereignis „Höherer Gewalt“ zu berufen.

Trotzdem können deshalb nicht einfach alle vertraglichen Leistungspflichten ausgesetzt werden. Es kommt – wie so oft – auf den jeweiligen Einzelfall an. Wenn beispielweise eine Leistung nicht erbracht werden kann, weil alle Mitarbeiter, die dazu fähig wären, unter einer behördlich angeordneten Quarantäne stehen, wird ein Fall „Höherer Gewalt“ naheliegen.

3. Welche Rechtsfolgen ergeben sich daraus?

Je nach anwendbarem Recht und den vertraglich getroffenen Regelungen kann ein Ereignis „Höherer Gewalt“ dazu führen, dass

  • die Parteien ihre vertraglich geschuldeten Leistungen für die Dauer des Anhaltens des Ereignisses Höherer Gewalt aussetzen dürfen, ohne das der anderen Partei dadurch Schadensersatzansprüche entstehen;
  • Verträge aufgelöst werden können, beziehungsweise besondere Kündigungs- und Rücktrittsrechte bestehen.

4. Was ist ganz praktisch zu tun, wenn die Gefahr besteht, dass ich vertragliche Leistungen wegen des Corona-Virus und seiner Folgen nicht erbringen kann?

  • Dann ist zu prüfen, welchem Recht die Vertragsbeziehung unterliegt, welche Regelungen die jeweilige Rechtsordnung hierfür vorsieht und ob vertragliche Vereinbarungen hierzu getroffen wurden.
  • Bei vertraglichen Regelungen muss geprüft werden, ob diese wirksam sind, was insbesondere für Verträge von Bedeutung ist, die dem Deutschen Recht unterliegende – wegen der strengen Wirksamkeitskontrolle des AGB-Rechts.
  • Ebenso muss unverzüglich der Vertragspartner über die fehlende Leistungsfähigkeit und die Mitteilung des Ereignisses „Höherer Gewalt“ informiert werden, auf dem dieses beruht.
  • Anschließend müssen Sie ständig überwachen, wann das Ereignis wegfällt oder sich so abmildert, dass die Leistung wieder erbracht werden kann.
  • Prüfen Sie zudem, ob sich durch Aussetzung der vertraglichen Leistung Sonderkündigungsrechte oder Rücktrittsrechte vom Vertrag ergeben.
  • Dokumentieren Sie alle Umstände genau, die dazu führen, dass Sie vom Vorliegen eines Ereignisses der „Höheren Gewalt“ ausgehen.

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