Die Ungleichheit der Entgelte, insbesondere zwischen Männern und Frauen, steht seit geraumer Zeit in der öffentlichen Diskussion.
Trotzdem fristete das im Jahr 2017 in Kraft getretene Entgelttransparenzgesetz seither eher ein unbeachtetes Nischendasein.
Das wird sich aber voraussichtlich bald ändern: Grund ist die am 6. Juni 2023 in Kraft getretene Entgelttransparenzrichtlinie (EU/2023/970), die auch kleine Unternehmen in die Pflicht nimmt.
Bereits im März 2021 veröffentlichte die Europäische Kommission einen Entwurf der Richtlinie zur Entgelttransparenz. Nach zweijährigen interinstitutionellen Verhandlungen stimmte ihr neben dem Europäischen Parlament auch der Europäische Rat zu. Die Mitgliedstaaten haben nun drei Jahre Zeit, die Richtlinie umzusetzen. In Deutschland wird das voraussichtlich zu umfangreichen Änderungen des Entgelttransparenzgesetzes führen.
Zentrale Inhalte der Richtlinie
Entgelttransparenz schon vor der Beschäftigung
Nach Artikel 5 der Richtlinie haben bereits Bewerber das Recht, von einem potenziell künftigen Arbeitgeber das Einstiegsgehalt beziehungsweise dessen Spanne zu erfahren. Die Informationen sollen fundierte und transparente Verhandlungen über das Entgelt gewährleisten. Sie werden frühzeitig mitzuteilen sein, entweder bereits in der Stellenausschreibung oder mit der Einladung zum Vorstellungsgespräch.
Transparenz der Entgeltfestsetzung
Zumindest in Unternehmen mit mehr als 50 Beschäftigten, sind Arbeitgeber nach Artikel 6 der Richtlinie verpflichtet, ihren Beschäftigten Informationen über die Kriterien für die Festlegung ihres Entgelts, dessen Höhe und Entwicklung zur Verfügung zu stellen.
Auskunftsanspruch schon in kleinen Betrieben
Korrespondierend zu der Informationspflicht, sieht die Richtlinie in Artikel 7 auch einen individuellen Auskunftsanspruch der Beschäftigten vor.
Zwar besteht bereits jetzt, nach § 10 des Entgelttransparenzgesetzes, ein Auskunftsanspruch der Beschäftigten über die Kriterien und das Verfahren zur Festlegung des Entgelts sowie über das vom Arbeitgeber gewährte Entgelt für vergleichbare Tätigkeiten. Dieser Auskunftsanspruch gilt aber momentan nur für Unternehmen mit mehr als 200 Beschäftigen. Zudem beschränkt sich die Auskunft über das Entgelt für vergleichbare Tätigkeiten auf den „statistischen Median“.
Das wird sich ändern. Artikel 7 der Richtlinie sieht, unabhängig von der Unternehmensgröße, einen Auskunftsanspruch der Beschäftigten über ihre individuelle und die durchschnittlicheVergütung für ihre sowie für vergleichbare Stellen vor – und zwar aufgeschlüsselt nach Geschlecht und den vergleichbaren Gruppen der Beschäftigten. Damit werden Beschäftigte künftig prüfen können, wie ihr Entgelt gemessen am Durchschnitt ausfällt.
Berichtspflichten
Artikel 9 der Richtlinie verpflichtet Betriebe ab einer Größe von mehr als 100 Beschäftigten zur regelmäßigen Veröffentlichung von Informationen über das Lohngefälle zwischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Unter bestimmten Umständen, die Artikel 10 regelt, müssen Arbeitgeber bei Bestehen eines geschlechterspezifischen Lohngefälles Maßnahmen zu seiner Beseitigung entwickeln.
Schadensersatz/Entschädigung und Beweislastumkehr
Sind Beschäftigte einer Diskriminierung aufgrund ihres Geschlechts ausgesetzt, können sie nach Artikel 16 der Richtlinie einen Anspruch auf Schadensersatz oder Entschädigung gegen den Arbeitgeber haben. Dazu gehören unter anderem in jedem Fall die vollständige Nachzahlung entgangener Entgelte sowie Schadensersatz für entgangene Chancen und immaterielle Schäden.
Um den Betroffenen eine gerichtliche Durchsetzung zu erleichtern, sieht Artikel 18 der Richtlinie eine Beweislastumkehr vor: Nicht der Arbeitnehmer muss eine Diskriminierung beweisen, sondern der Arbeitgeber muss nachweisen, dass eine solche gerade nicht vorliegt.
Handlungsempfehlung
Momentan besteht für Arbeitgeber in Deutschland noch keinkonkreter Handlungsbedarf.Erst wenn die Richtlinie in nationales Recht umgesetzt wird, sind Arbeitgeber an die Vorgaben des Gesetzes gebunden.
Für die Umsetzung haben die Mitgliedstaaten drei Jahre Zeit; ungewiss ist, ob Deutschland diese Frist vollständig ausschöpfen wird.
Arbeitgeber/Unternehmen sollten daher schnellstens beginnen, ihre Entgeltsystematik im Hinblick auf die wesentlichen Inhalte der Richtlinie zu prüfen und – wenn notwendig – Anpassungen vornehmen.
Das ist insbesondere auch deshalb ratsam, weil die Rechtsprechung bereits jetzt in der unterschiedlichen Vergütung von Frauen und Männern für gleiche oder gleichwertige Arbeit eine geschlechterspezifische Diskriminierung vermutet, was dazu führt, dass der Arbeitgeber objektive Gründe für eine Rechtfertigung nachweisen muss.