Zu bisher ungeklärten Fragen des Urlaubsrechts hat der neunte Senat des Bundesarbeitsgerichts (BAG) am 20. Dezember 2022 zwei Urteile verkündet. Ihre Praxisrelevanz ist hoch – für Arbeitgeber und Arbeitnehmer.

Aus den Entscheidungen, zu denen bisher nur Pressemitteilungen vorliegen, ergeben sich folgende Neuerungen bezüglich Urlaubsansprüchen:

  • Ihre Verjährung kommt nur dann in Betracht, wenn Arbeitnehmer von ihren Arbeitgebern ordnungsgemäß und rechtzeitig auf die ihnen zustehenden Urlaubstage sowie die geltenden Verfallsfristen hingewiesen wurden.
  • Urlaubstage eines Langzeiterkrankten (aus den Jahren, in denen er gearbeitet hat) verfallen nur dann, wenn ein entsprechender Hinweis des Arbeitgebers rechtzeitig vor der Arbeitsunfähigkeit erfolgte.

Die Entscheidungen zeigen einmal mehr: Es ist für Unternehmen von großer Bedeutung, ordnungsgemäß den vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) und BAG entwickelten Hinweispflichten nachzukommen. Und: Um nicht noch viele Jahre später Ansprüchen von (Ex-)Arbeitnehmern ausgesetzt zu sein, die sie über lange Zeit angesammelt haben, sollten Unternehmen jedes Jahr erneut auf den drohenden Verfall von Urlaubstagen hinweisen – und zwar im besten Fall bereits zu Beginn des Kalenderjahres.

Grundsätzliches zu Verfall und Verjährung von Urlaubsansprüchen

Um die beiden Urteile im Detail besser verstehen zu können, sehen wir uns zunächst die Ausgangslage an. Die Frage der zivilrechtlichen Verjährung von Urlaubsansprüchen richtet sich nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch und stellt sich nur dann, wenn die Ansprüche nicht bereits nach dem Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) verfallen sind: Darin heißt es in § 7 Abs. 3 S. 1, dass Urlaub im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden muss. Eine Übertragung des Urlaubsanspruchs bis zum 31. März des Folgejahres kommt nur in Ausnahmefällen in Betracht, § 7 Abs. 3 S. 2 BUrlG.

In europarechtskonformer Auslegung von § 7 BUrlG ist jedoch bereits seit einem BAG-Urteil aus dem Jahr 2019 grundsätzlich kein automatischer Verfall von Urlaubsansprüchen mehr möglich (Az.: 9 AZR 541/15). Ein Verfall kommt nach dem BAG nur dann in Betracht, wenn der Arbeitgeber

  • den Arbeitnehmer konkret aufgefordert hat, Urlaub zu nehmen und
  • den Arbeitnehmer rechtzeitig und eindeutig darauf hingewiesen hat, dass er ansonsten mit Ablauf des Urlaubsjahres beziehungsweise dem 31. März des Folgejahres verfällt.

Ausnahmen von dieser Hinweispflicht bestehen, wenn ein Arbeitnehmer seinen Urlaub aufgrund einer Langzeiterkrankung nicht in Anspruch nehmen kann. Bleibt der Arbeitnehmer seit Beginn des Urlaubsjahres durchgehend bis zum 31. März des übernächsten Kalenderjahres arbeitsunfähig, verfallen grundsätzlich die während der Krankheit erworbenen Urlaubsansprüche – auch ohne Hinweis seitens des Arbeitgebers – spätestens 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres.

Ist nach dieser Situation kein Verfall der Urlaubsansprüche eingetreten, stellt sich die bislang ungeklärte und höchst umstrittene Frage: Können Urlaubsansprüche überhaupt verjähren? Diskutiert wurde maßgeblich die Anwendung des § 195 BGB, also der regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren.

Entscheidung zum Verfall des Urlaubs bei Langzeiterkrankten (Az.: 9 AZR 245/19)

Die erste Frage, die das BAG zu beantworten hatte, war folgende: Verfällt der Urlaubsanspruch auch dann 15 Monate nach Ablauf des Jahres, wenn der Arbeitnehmer in diesem tatsächlich gearbeitet hat, bevor er voll erwerbsgemindert oder krankheitsbedingt arbeitsunfähig geworden ist?

Die Antwort: Nein. Hat der Arbeitnehmer in dem betreffenden Jahr tatsächlich gearbeitet, bevor er arbeitsunfähig krank geworden ist, verfällt sein Urlaubsanspruch nur dann, wenn der Arbeitgeber ihn  rechtzeitig vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit in die Lage versetzt hat, seinen Urlaub auch tatsächlich zu nehmen. Hat er das nicht getan, verfällt der Anspruch nicht nach Ablauf von 15 Monaten.

Mit dieser Entscheidung hat das BAG die Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs umgesetzt (Urteil vom 22. September 2022, Az.: C-518/20, C-727/20).

Entscheidung zur Verjährung von Urlaubsansprüchen (Az.: 9 AZR 266/19)

Im Rahmen dieser zweiten Entscheidung stellte das BAG fest: Der gesetzliche Anspruch eines Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub unterliegt der gesetzlichen regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren.

Dringend zu beachten sind allerdings die Ausführungen des BAG über den Beginn der Verjährungsfrist: Sie fängt nicht schon automatisch mit Ende des Jahres an. Vielmehr führt das BAG aus, dass die Verjährungsfrist erst am Ende desjenigen Kalenderjahres beginne, in dem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallsfristen belehrt hat und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat.

Ein Trost für den Arbeitgeber bleibt:

Mit Urteil vom 31.01.2023 (Az.: 9 AZR 456/20) entschied das BAG, dass Urlaubsabgeltungsansprüche des Arbeitnehmers gemäß § 195 BGB nach drei Jahren verjähren. Auch ohne Hinweis des Arbeitgebers beginnt die Frist in der Regel mit dem Ende des Jahres, in dem der Arbeitnehmer das Unternehmen verlässt. Ab diesem Zeitpunkt kommt es also nicht mehr darauf an, ob der Arbeitgeber zuvor, das heißt während des Arbeitsverhältnisses, seine urlaubsrechtlichen Mitwirkungspflichten erfüllt hatte oder nicht.