Gleich zweimal hat der Fachausschuss für Unternehmensbewertung und Betriebswirtschaft des IDW (FAUB) sich in jüngster Zeit mit den Auswirkungen von Russlands Krieg gegen die Ukraine auf Unternehmensbewertungen beschäftigt – in einem fachlichen Hinweis vom 20. März 2022 hat er sich mit den grundsätzlichen Auswirkungen auseinandergesetzt, nach seiner Sitzung am 7. April 2022 folgte eine ergänzende Erörterung zur Frage von Preisinstabilitäten.

Nachfolgend geben wir die wichtigsten Aussagen des FAUB wieder.

Grundsätzliche Überlegungen

Der FAUB geht davon aus, dass der Krieg deutliche Spuren in der globalen Wirtschaft hinterlassen und damit Konsequenzen für die Unternehmensbewertung haben wird.

Wesentliche Auswirkungen betreffen die Realwirtschaft, beispielsweise die Lieferketten, die Leistungserstellung, die Absatzmärkte, die Kreditversorgung durch Banken oder die Infrastruktur. Dies strahlt nach Ansicht des FAUB mittelbar auch auf den Finanzsektor aus.

Die mittelbaren und unmittelbaren Auswirkungen des Ukraine-Krieges haben ein globales Ausmaß erreicht und führen zu großer wirtschaftlicher Unsicherheit, die seit dem 24. Februar 2022 (Tag des Kriegsbeginns) unter anderem zu einem weltweiten Einbruch der Börsenkurse führte.

Von den Kursen börsennotierter Gesellschaften sind die nach fundamentalanalytischen Bewertungsmethoden ermittelten Zukunftserfolgswerte von Unternehmen zu unterscheiden, welche regelmäßig Grundlage ökonomischer Entscheidungen bilden – etwa bei Kapitalmaßnahmen, M&A-Transaktionen, Impairment-Tests oder gutachtlichen Bewertungen. Bei Anwendung von Zukunftserfolgswertverfahren ist – dem Äquivalenzprinzip folgend – Unsicherheit an zwei Stellen zu berücksichtigen: Zum einen in den Erwartungen künftiger finanzieller Überschüsse, zum anderen hierzu äquivalent in der Risikoprämie, die Investoren für die Übernahme der Unsicherheit fordern.

Stichtagsprinzip

Unternehmenswerte sind zeitpunktbezogen auf den Bewertungsstichtag zu ermitteln. Die Erwartungen der an der Bewertung interessierten Parteien bezüglich der künftigen finanziellen Überschüsse sowohl des Bewertungsobjekts als auch der bestmöglichen Alternativinvestition hängen vom Umfang der im Zeitablauf zufließenden Informationen ab. Bei Auseinanderfallen des Bewertungsstichtags und des Zeitpunkts der tatsächlichen Durchführung der Bewertung ist daher nur der Informationsstand zu berücksichtigen, der bei angemessener Sorgfalt zum Bewertungsstichtag hätte erlangt werden können.

Aufgrund dieses Stichtagsprinzips scheidet eine Berücksichtigung der unmittelbaren und mittelbaren Auswirkungen des Ukraine-Krieges bei Bewertungen bis zum 23. Februar 2022 aus. Erfolgt eine Bewertung mit einem Stichtag bis zu diesem Datum, ist im Bewertungsgutachten darauf hinzuweisen, dass die Auswirkungen des Krieges nicht berücksichtigt wurden.

Für Bewertungsstichtage nach dem 23. Februar 2022 gilt, dass die Erkennbarkeit der Kriegsauswirkungen zum jeweiligen Stichtag einzelfallspezifisch zu beurteilen ist.

Künftige finanzielle Überschüsse – Ausmaß und Dauer der Effekte

Aussagen zur Dauer der Effekte des Krieges beziehungsweise der verhängten Sanktionen sind derzeit kaum verlässlich möglich. In der konkreten Auswirkung auf das zu bewertende Unternehmen ist zunächst zu differenzieren, inwieweit dieses ein direktes Engagement in Form von Produktionstätigkeiten beziehungsweise rechtlichen Beteiligungen in der Ukraine/Russland oder Geschäftsbeziehungen im Bereich der Beschaffungs- und Absatzmärkte hat.

Soweit ein direktes Engagement in der Ukraine/Russland vorliegt, ist zu analysieren, inwieweit zum Bewertungsstichtag Einschränkungen oder Ausfälle von Absatz beziehungsweise Produktion oder sonstige Folgen erkennbar sind.

Auch soweit weder ein direktes Engagement noch unmittelbare Geschäftsbeziehungen vorliegen, kann die aktuelle Situation substanzielle Auswirkungen auf die Geschäftsentwicklung des Bewertungsobjekts haben. Dies kann etwa aufgrund steigender Rohstoff- und Energiepreise oder durch Verzögerung oder Ausfall wichtiger Lieferketten bedingt sein.

Trotz der voraussichtlich zeitlich begrenzten Bedrohung durch den Ukraine-Krieg selbst, können sich in der langfristigen Betrachtung wertrelevante Konsequenzen ergeben, wenn aufgrund von dadurch ausgelösten Veränderungen die langfristige wirtschaftliche Situation nach dem Krieg voraussichtlich eine andere sein sollte als davor. Es ist davon auszugehen, dass Unternehmen dann in bestimmten Fällen nicht mehr dieselben Absatzmärkte für Produkte und Dienstleistungen sowie auch nicht mehr dieselben Beschaffungsketten haben werden wie vor dem Krieg.

Kapitalkosten

Der FAUB hält an seiner Einschätzung vom 25. Oktober 2019 fest, wonach von durchschnittlichen Marktrenditen von 7,0 bis 9,0 Prozent (nach Unternehmenssteuern, vor persönlichen Steuern) und von einer Marktrisikoprämie von 6,0 bis 8,0 Prozent (ebenfalls nach Unternehmenssteuern, vor persönlichen Steuern) auszugehen ist.

Preisinstabilität angesichts des Krieges

In seiner April-Sitzung hat der FAUB auch Stellung zu den Auswirkungen des Krieges sowie anderer Preistreiber auf die Unternehmensbewertung bezogen. Seiner Ansicht nach sind die gegenwärtig zu beobachtenden unternehmensindividuellen Preissteigerungsraten primär in der Planungsrechnung in der Detailplanungsphase abzubilden. Dabei sei davon auszugehen, dass es sich bei den derzeit außergewöhnlich hohen Preissteigerungen um temporäre Effekte handelt, die sich nicht in der ewigen Rente fortsetzen. In der ewigen Rente ist vielmehr weiterhin die langfristige Inflationserwartung der EZB zugrunde zu legen.